Die Grundsubstanz muss stimmen
Das Original Wiener Zinshaus
21.03.2018
Das Original Wiener Zinshaus
Schönbrunn, der Steffl, die Oper – zu Recht kann man auch das Zinshaus in eine Reihe mit diesen Wiener Originalen einordnen. Schließlich prägen die teils aufwendig gestalteten Fassaden bis heute das Stadtbild. Aber aus welcher Zeit stammt ein typisches Wiener Zinshaus? Und woran erkennt man, ob das eigene Mietshaus ein Original ist?
Die Gründe für die Gründerzeit
Zwar wurden auch davor Mietshäuser gebaut, aber spricht man vom Wiener Zinshaus, dann ist vor allem ein Haus aus der Gründerzeit gemeint. Weshalb Wiener Zinshäuser auch gerne Gründerzeithäuser genannt werden.
Die Gründerzeit wird von 1840 bis 1918 datiert und umfasst eine Epoche, in der Wien eine rasante Entwicklung vollzog. Auslöser war das enorme Bevölkerungswachstum, das die damalige Residenzstadt erlebte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zog es Menschen aus allen Teilen der Monarchie nach Wien, wo die einsetzende Industrialisierung mit Jobs und Aufstiegschancen lockte. 1830 hatte Wien knapp über 400.000 Einwohner, 1850 waren es bereits etwas mehr als 550.000. Und zum Ende der Monarchie 1918 lebten mehr als 2,2 Millionen Menschen in Wien.
Die Neuankömmlinge in der Kaiserstadt benötigten vor allem Wohnraum. Das löste einen Bauboom aus, der vor allem vom ebenfalls zu dieser Zeit in den Vordergrund tretenden Bürgertum getragen wurde. Um deren Baufreude zu stärken, wurden sogar Steuervorteile gewährt. Außerdem wurden die großen Grundstücke in Wien aufgeteilt, was das Bauen ebenfalls günstiger machte. Eine Folge davon sind die typischen Häuserblocks. Profis sagen dazu Blockrandbebauung und meinen eine Gruppierung von Gebäuden, die in geschlossener Bauweise errichtet und allseitig von Straßen eingerahmt ist. In der Mitte befindet sich zumeist ein gemeinsamer Hof, die Zinshäuser sind zur Straße orientiert und werden daher auch als Straßentrakter bezeichnet.
Den Verkauf der parzellierten Grundstücke organisierte der 1858 geschaffene Wiener Stadterweiterungsfonds. Seine Aufgabe war die Verwertung der Flächen, die durch den Abriss der Wiener Basteien frei wurden sowie der sogenannten Glacis-Gründe, die der 1857 geschliffenen Stadtbefestigung vorgelagert waren. Das letzte Grundstück verkaufte der Wiener Stadterweiterungsfonds übrigens erst 2008, aufgelöst wurde er 2017.
Der Historismus prägt das Stadtbild Wiens
Der Baustil der Gründerzeit wird als Historismus bezeichnet und war eine Mischung aus verschiedenen Stilrichtungen, die es davor gegeben hatte und die nun neu interpretiert wurden. Zum Historismus werden daher folgende Stile gezählt: der Spätklassizismus, die Neoromanik, Neogotik, Neorenaissance sowie Neobarock und teilweise auch der – erst Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommende – Neoklassizismus.
Experten, die es ganz genau nehmen unterteilen die Gründerzeit aufgrund dessen noch in eine Frühgründerzeit von 1840 bis 1870, eine Hochgründerzeit von 1870 bis 1890 und eine Spätgründerzeit von 1890 bis 1918.
Typische Frühgründerzeit
Die Zinshäuser der ersten Periode sind nach außen hin noch eher schmucklos. Die rasche Schaffung von vor allem billigen Wohnraum stand im Vordergrund. Durch die kleineren Grundstücke wandelten sich die Grundrisse von lang und rechteckig zu gedrungen und eher quadratisch. Neben den Straßentraktern finden sich – auf schmalen Grundstücken auch Seitenflügelhäuser. Wurden zwei solche Gebäude rückwärts gekoppelt, sprach man von „Pseudowohnhöfen“.
Typischerweise hat ein Zinshaus der Frühgründerzeit bis zu vier Stockwerke. Die Wohnungen bestehen aus Zimmer und Küche, maximal gab es noch ein Kabinett. Die Einheiten reihen sich entlang eines langen Ganges, der bei den sogenannten Pawlatschen-Häusern sogar außen liegen konnte. Die Sanitäreinrichtungen und Wasser waren im Parterre des Zinshauses oder – in besseren Häusern – am Gang zu finden.
Typisch Hochgründerzeit
Ab 1870 werden die Wiener Zinshäuser nach außen hin „schmucker“. Das mag zum einen am Einfluss der 1865 eröffneten Wiener Ringstraße liegen, zum anderen an der Industrialisierung auch im Bau. Vorgefertigte Säulen und andere in Serie produzierte Dekorelemente machen es auch für private Bauherren erschwinglicher, „repräsentativ“ zu bauen.
Die Hochphase der Gründerzeit ist daher geprägt von gegliederten und mit viel Schmuck ausgestatteten Fassaden. Im Inneren änderte sich wenig, nur in der Höhe war es ab 1870 möglich auf bis zu fünf Geschoße (inklusive Erdgeschoß und Mezzanin) aufzustocken.
Typisch Spätgründerzeit
Das Jahr 1890 markiert die zweite Stadterweiterung. Der Gürtel wird angelegt und die Vororte weiter in die Stadt integriert. Die hohen Grundstückspreise führen dazu, dass die Bauherren danach trachten, die Fläche maximal auszunützen. Möglich macht das die Bauordnung, die es ab 1895 gestattet, den Hof auf 15 Prozent der Grundfläche zu reduzieren. Der Straßentrakter wird vom Doppel- und Mehrtrakter abgelöst, bei dem die hinteren Räume über kleine Höfe und Schächte mit Luft und Licht versorgt werden.
In den Vororten Wiens herrschen weiterhin kleine Wohnungen mit Sanitäreinrichtungen am Gang vor. Die Wohnungen innerstädtischer Mietshäuser sind hingegen größer, die Räume höher und sie sind komfortabler gestaltet – mit Sanitäreinrichtungen und Wasser in der Wohnung. Dazu kommen repräsentative Eingangsbereiche und die ersten Lifte. Eine Besonderheit dieser Zinshäuser sind zudem die Raumhöhen von bis zu vier Metern.
Nach außen gibt es wenige Unterschiede – die Fassaden sind noch reichhaltiger verziert und zum in der Endphase der Gründerzeit vorherrschenden Neobarock gesellen sich Einflüsse des aufkommenden Jugendstils.
Zinshäuser haben ein solides Fundament, bis heute
Allen Zinshäusern der Gründerzeit gemeinsam ist ihre solide Bauweise. Die Außenwände sind aus Vollziegelmauerwerk mit Wandstärken von 30 bis 90 cm errichtet. Über dem Keller finden sich Massivdecken, die teilweise bereits als Stahlträgerdecken ausgeführt sind. Die Geschoßdecken sind Holzbalken- oder Tram-Traversendecken.
Auch Türen, Böden, Geländer und andere Bauteile weisen eine hohe Qualität auf – sowohl handwerklich wie auch bei den verwendeten Materialien. Typisch sind beispielsweise die Holzfenster, die oft mit Profilierungen versehen und als Einfach- oder Kastenfenster ausgeführt sind.
Der erste Weltkrieg markiert das Ende der Gründerzeit. Geblieben sind die für Wien typischen Zinshäuser. Zwar geht deren Bestand zurück – um rund ein Prozent pro Jahr, trotzdem schätzen Experten, dass es heute noch rund 15.000 Gründerzeithäuser in Wien gibt.
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Fotos: © 3SI Immogroup | MW-Architekturfotografie
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