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Die vielen Gesichter der Nachhaltigkeit bei Bau und Immobilien
04.12.2023
Die vielen Gesichter der Nachhaltigkeit bei Bau und Immobilien
Das Streben nach Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche wirft viele Fragen zu Altbau und Neubau auf, die sich heimische Immobilienentwickler stellen müssen. Experten betonen, dass Nachhaltigkeit nicht als Zusatzaufgabe betrachtet werden sollte, sondern integraler Bestandteil jeder Planung ist. Wien, mit seinen historischen Zinshäusern, hat großes Potenzial und es ist wichtig, die Zukunft aktiv mitzugestalten.
Revitalisierung & Neubau
Ist Altbau oder Neubau nachhaltiger? Ist Bauen auf der grünen Wiese grundsätzlich schlecht? Und ist „Raus aus dem Gas“ wirklich der Weisheit letzter Schluss? Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienwirtschaft ist ein Puzzle unterschiedlichster Faktoren, die im Zusammenspiel schließlich das Bild einer lebenswerten Zukunft ergeben.
Eine „Zusatzaufgabe“ soll Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche nicht sein, erklärt Tobias Steiner, Leiter der Abteilung Bauphysik des Österreichischen Instituts für Bauen und Ökologie: „Es ist einfach etwas, das wir sinnvoll mitdenken müssen – wir können den Gebäudebetrieb optimieren, die Energiekosten senken, können die CO2-Emissionen reduzieren. Nachhaltigkeit passiert auf so vielen unterschiedlichen Ebenen, von der Wahl des Wassers über den Fenstertausch bis hin zu einer umfassenden Sanierung.“
„Runter mit dem Verbrauch“ vor „Raus aus dem Gas“.
Letzteres gilt natürlich in erster Linie für den Bestand, insbesondere den Altbau – den man aber in Sachen Nachhaltigkeit keinesfalls unterschätzen sollte, ist Markus Neumayer überzeugt: „Man muss sich einmal bewusst machen, wie nachhaltig das gute alte Zinshaus eigentlich ist“, erklärt der Geschäftsführer von Neumayer Projektmanagement, „es hat eine Lebensdauer von bisher mehr als hundert Jahren, und es lebt noch weiter. Die Materialien sind absolut regional – der Ziegel ist vom Wienerberg, Putz und Mörtel kommen aus Kaltenleutgeben, auch das Holz ist aus der Umgebung. Wir sollten wertschätzen, was für ein Juwel das Zinshaus ist – nicht nur architektonisch und kulturell, sondern auch in Sachen Nachhaltigkeit.“
Dass ein großer Teil dieses Bestandes noch mit Gas beheizt werde, ist für den Experten nicht ganz oben auf der Prioritätenliste: „Ich würde jedem Projektentwickler sagen: Lass dich von dem Slogan ,Raus aus dem Gas‘ nicht fertigmachen – wir haben eine ganze Reihe anderer Themen, die leichter lösbar sind und die einen wesentlichen Beitrag leisten können. Sehen wir uns nicht zuerst an, woher die Energie kommt, sondern wie wir den Verbrauch reduzieren können.“ Inge Schrattenecker, stellvertretende Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik und Leiterin des Programms klima:aktiv Bauen und Sanieren, kann dem nur zustimmen: „Energieeffizienz muss das oberste Ziel sein. Es hat überhaupt keinen Sinn, ein Gebäude mit einem Heizwärmebedarf von 200 oder mehr jetzt schon umzustellen – zunächst muss der Verbrauch runter, dann kann man sich sinnvoll nach alternativen Energieformen umsehen.“
Maßnahmen wie Fenstertausch, Dämmung von Außenhülle und Geschoßdecken oder sinnvolle Dachgeschoßausbauten könnten in der Kombination den Verbrauch um zwei Drittel oder mehr reduzieren, erklärt Neumayer. Schon mit ein paar Zentimetern Dämmung sei schon viel gewonnen. Aber halt: Außen ist das im Falle eines Gründerzeithauses nicht möglich, es würde die klassische Fassade zerstören. Verliert man durch Dämmung im Inneren nicht wertvolle Wohnfläche? Eine reine Quadratmeterrechnung sei in diesem Falle zu kurz gedacht, erklärt Steiner: „In einem nicht sanierten, schlecht gedämmten Gebäude ist es im Bereich der Fenster oft unangenehm kalt – man verliert hier also einfach durch die Temperatur Aufenthaltsflächen. Ja, ein paar Zentimeter Dämmung summieren sich auf ein Haus gerechnet wahrscheinlich auf ein paar Quadratmeter – aber dafür ist die verbleibende Fläche voll nutzbar und bietet eine viel höhere Aufenthaltsqualität. Letztendlich geht die Rechnung also zugunsten der Dämmung aus.“
Stadt mit Potenzial.
Dass Wien als Bestandsstadt ein hohes Potenzial hat, ist auch dem Altbaubestand geschuldet. Wichtig sei es aber trotzdem, die Zukunft und vor allem das große Ganze im Blick zu behalten, ist Robert Lechner, Leiter des Österreichischen Ökologie-Instituts, überzeugt: „Bevor wir beginnen, über Gebäude selbst zu sprechen, müssen wir über Raumplanung sprechen – wo soll sich Stadt entwickeln? Im Moment haben wir die Situation, dass Wien wächst, eine Entwicklung, bei der auch die Umlandgemeinden mitziehen müssen. Und wir müssen verhindern, dass sich die Stadt einfach in der Fläche ausbreitet.“
Ziel müsse eher sein, innerstädtische Flächen voll zu erschließen und zu nutzen: „Projekte wie Nordbahnhof und Nordwestbahnhof, die Remise der Badner Bahn – das sind Projekte, die aus raumplanerischer Sicht wirklich nachhaltig sind. Verdichtung macht einfach viel mehr Sinn, als die gleiche Fläche am Rande der Stadt neu zu errichten.“ Leider verhallen, so Lechner, die Rufe der Experten nur allzu oft ungehört in politischen Ohren: „Was wir vor allem auch in den umliegenden Gemeinden erleben, ist, dass die Wohnungsdichte reduziert wird, die Wohnungsanzahl reduziert wird – da müssen wir uns schon fragen, ob das das Wachstum ist, das wir brauchen: nämlich in den Ortskernen, im städtischen Bereich.“
Zur Lage der Nachhaltigkeit.
Lage, Lage, Lage gilt ja seither als großes Credo der Immobilienwirtschaft, das aber auch eine große Rolle bei Nachhaltigkeitsüberlegungen spielt – so zum Beispiel auch im Bereich der Zertifizierungen, wie Florian Wehrberger, Abteilungsleiter der ÖGNI-Zertifizierung (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft), erklärt: „Wer eine ÖGNI-Zertifizierung anstrebt, der wird sich in einer innerstädtischen Lage mit entsprechend guter umgebender Infrastruktur und Verkehrsanbindung mit einem Gold- oder sogar Platin-Status deutlich leichter tun, als wenn auf der grünen Wiese gebaut wird.“
Das sei übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, dass man Zertifizierungen eben nicht als Zeugnis im Nachhinein sehen sollte, sondern eigentlich als „Bedienungsanleitung“ und Begleitung von vornherein: „Man muss sich das vorstellen wie einen umgekehrten Trichter“, so Wehrberger, „ganz am Beginn hat man noch die Möglichkeit, mit relativ wenig – auch finanziellem – Aufwand sehr viel zu bewegen, die Weichen von Anfang an richtig zu stellen. Je weiter ein Projekt fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es.“ Insgesamt, da sind sich die Experten einig, werden Zertifizierungen in der Zukunft mehr Bedeutung bekommen – auch im Wohnbau, in dem sie bisher eher selten anzutreffen waren. Zum einen werde es für die Finanzierung zu einem wesentlichen Kriterium werden – schließlich müssen sich die Banken im Zuge der EU-Taxonomie über die Nachhaltigkeit von Projekten vergewissern –, zum anderen, weil auch für Private der Nachhaltigkeitsfaktor immer wesentlicher wird und Zertifizierungen als Orientierungshilfe dienen können.
Credits Visualisierungen: © 3SI Immogroup | SQUAREBYTES | JAMJAM
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